Donnerstag, 22.09.2011

Tanz – Theater – Film

Tanz, Tüll und Tutu – Illusion der Schwerelosigkeit. 
Dorothea Nicolai, Opernhaus Zürich

Das Tutu ist der Inbegriff des Kleidungsstückes der Ballerina im klassischen Tanz und unterstützt ihre Bewegungen in der Illusion der Schwerelosigkeit. 
Dieser Vortrag ist ein Streifzug durch die Geschichte des Tutus: Vom romantischen schwebenden Tutu zum kurzen, steif abstehenden Tutu, hergestellt aus vielen Lagen Tüll in verschiedenen Qualitäten und Farbnuancen. Welche technischen Raffinessen stecken in der Konstruktion, dass dieses Kleidungsstück allen Anforderungen der Bewegung gerecht wird? Warum ist Tüll der Stoff der Träume, und welche Arten von Tüll unterscheidet man, je nachdem, welche Wirkung erzielt werden soll? Wie dekoriert man eine Tutu-Decke? Der Vortrag möchte auf die Symbiose der Beobachtung der Bewegung und der schneidertechnischen Umsetzung mit Material und Schnittberechnung des Tutu zur beabsichtigten künstlerischen Wirkung eingehen.

Kleider – Tanz – Schuhe. Wer bewegt wen?
Katja Stromberg, Bochum 

Der Vortrag entwickelt zunächst anhand von historischen Originalen (Tanzkleider des 20. Jahrhunderts) Möglichkeiten der Interaktion zwischen einem Tanzkleid und seinem Träger. Ein Kleid an einem bewegten Körper gerät mit in Bewegung und wirkt so auf den Körper zurück. Bei einem Tanzkleid wird diese wechselseitige Beziehung zu einem gestalterischen Element: Das Kleid kann den Körper bedecken, diesen erweitern, einengen oder explizit zur Schau stellen. Jedes dieser Kleider trägt die Spuren des Gebrauchs, die weitere Rückschlüsse auf den Einsatz der einzelnen Stücke zulassen. Die Betrachtung der Tragespuren bezieht sich insbesondere auf die Schuhe, denn bei diesem Teil des Tanzkleides wird die Interaktion zwischen Tänzer und Kleidungsstück besonders deutlich. Die Schuhe müssen vom Träger beherrscht werden – ob Spitzenschuh oder Stiletto – und das nicht nur auf der Bühne.

Exploring Movement in Early Soviet Cinema: Body and Costume Interplay in Yakov Protazanov’s film «Aelita». 
Chryssa Mantaka, Aristotle University Thessaloniki

This paper aims to examine aspects of bodily motion and costume movement as silent film narratives in one of the most interesting examples of Russian avant-garde cinema, Aelita directed by Yakov Protazanov. Aelita, the queen of Mars based on a novel by Alexei Tolstoi marks the birth of science-fiction cinema in Soviet Russia in 1924 and is mostly distinguished by the bold costumes designed by Alexandra Exter. Nadezdha Lamanova, one of the best known fashion designers of the time, has also contributed to the film. Both artists were excellent theorists and practitioners of costume design in fashion, theatre, film and in education.  We should also stress the fact that the concept of movement played a crucial role in the theory of dress evolved by these Russian avant-garde artists. Undoubtedly, the first two decades of the 20th century in pre and post-revolutionary Russia were marked by the investigation of the body in movement at work, in art and in everyday life. For example, eurhythmics, biomechanics, montage techniques and eccentric dances comprised some of the new alternative movement systems offered in the performing arts. An analysis of costume and movement in this film Aelita is a challenge offering a full aspect of tendencies in contemporary soviet fashion but also in futuristic styles, followed by the Russian avantgarde artists.

Schwung in Schwarzweiss. 
Die Filmkostüme von Ginger Rogers und Fred Astaire.
Katharina Tietze, Zürcher Hochschule der Künste

«They are pure honey» hat Stanley Donen über Fred Astaire und Ginger Rogers gesagt. In den 30er Jahren kreierten sie mit Filmen wie «Top Hat» einen neuen Stil des Musicalfilms. Während Amerika in einer schweren Weltwirtschaftskrise steckte, träumten die Kinobesucher mit dem dahinschwebenden Paar. Bis heute beeindruckt ihr eleganter Stil, der sich vor allem durch präzise Übergänge von Spielszenen in Gesangs- und Tanznummern auszeichnet. In den recht banalen Plots gibt es jeweils in der ersten Hälfte Szenen, in denen das Paar zueinander findet. Die Kostüme charakterisieren den dialogischen Austausch auf Augenhöhe, hier trägt auch Ginger Rogers oft Hosen. Im grossen Finale wird dann die Konvention eines romantischen Paares auch in den Kleidern vorgeführt, Astaire in Smoking oder Frack und Rogers in voluminösen Abendkleidern, letztere dafür entworfen, die Tanzbewegungen in besonderem Masse hervorzuheben. Neben der Analyse der Kostüme in diesen beiden Szenenformen geht es um die Rolle von Mode und Kleidung innerhalb der Filmhandlungen und um das Verhältnis von Filmkostüm und Mode in dieser goldenen Ära des Hollywood-Kinos.

Die Bühne als Laufsteg. Ästhetik des Kostüms im Freilichttheater 
Yvonne Schmidt, Zürcher Hochschule der Künste

«[Das Kostüm] muss als solches unbemerkt bleiben und gleichzeitig auch existieren. [..] Es muss zugleich stofflich und transparent sein: Man soll es sehen, aber nicht betrachten.»
(Roland Barthes, 1955)
Das Kostüm spielt im Theater eine tragende Rolle. Dennoch gilt Barthes’ «Paradox des Kostüms» bis heute, wie jüngst der Kritiker Wolfgang Kralicek formulierte: «Kostüme sind die ewigen Nebendarsteller des Theaters.» Mit Blick auf die aktuelle Theaterpraxis besteht hingegen eine Tendenz zu Kostümen, die nicht nur eine zudienende Funktion erfüllen, sondern einen Eigenwert erhalten: Von einer Aufwertung des Materials bis hin zur Inszenierung von Haute Couture, über die Verschmelzung von Körper und Kostüm zu Skulpturen bis hin zur Verwendung von Alltagsmaterialien. Diese Trends sind auch im Freilichttheater der Schweiz zu erkennen, welches das SNF/DORE-Forschungsprojekt «Ästhetik des Freilichttheaters» am Institute for the Performing Arts and Film (IPF) der ZHdK mittels qualitativer Methoden der empirischen Sozialforschung und in Verknüpfung von Theaterwissenschaft und Kostümforschung untersucht.

 

Freitag, 23.09.2011

Bewegung im Kleid

Mode im Wind.
 Über zufällige, künstlich erzeugte und imaginierte Kleidermetamorphosen.
Gundula Wolter, Berlin

«Storm in a teacup» nannte Vivienne Westwood ihre H/W-Kollektion 1996/97, deren Modelle sich durch extreme Weite im Rücken und zahllose wehende Bänder auszeichneten. Die Kollektion spielte mit den Zufällen, die durch Bewegungen des Körpers (von innen) und durch Wind (von aussen) evoziert wurden. Kleider sind Gegenstände, die zum Gebrauch kreiert wurden und werden. Hängen sie hermetisch abgeschlossen in Vitrinen, sind sie «tot». Erst am Körper in Bewegung oder unter Ausseneinwirkungen werden sie lebendig. Kleider, die getragen werden, sind per se mit Bewegung konfrontiert. Allerdings ist der Umgang damit, wie die Modegeschichte zeigt, höchst facettenreich. Mal wird Bewegung gezielt als Thema aufgegriffen, betont oder verstärkt, mal wird Bewegung demonstrativ abgewehrt, eingeschränkt, ja verunmöglicht. Entscheidend hierfür sind die Kleiderschnitte, die Stoffentscheidungen und die Wahl des Aufputzes. Mein Beitrag handelt von Kleidermetamorphosen im Wind. Von Moden, die vom Wind leben, von Moden, die mit dem Effekt der zufälligen Entblössung spielen und von mittels Wind(maschinen) erzielten Effekten. Diese spannungsreiche Langzeitbeziehung wird anhand von Bildquellen aus Vergangenheit und Gegenwart analysiert und diskutiert.

Die Kunst des Kleiderraffens. Oder: Wie lassen sich Falten zähmen?
Regina Lösel, Nidderau 

 «Die Kunst des Kleiderraffens» wurde Anfang des 20. Jahrhunderts in Ratgeberbüchern und Zeitschriften beschrieben. Unter dieser Kunst verstanden die Zeitgenossen eine kontrollierte Bewegung, bei der die Bewegungen von Kleidung und Körper nach moralischen Massstäben beurteilt wurden. Zum einen wurde das Erlernen dieser Kunst notwendig, da sich die Frauen mehr und mehr im öffentlichen Raum, auf den Grossstadtstrassen bewegten und die Kleidung die Weite, Länge, Stofffülle besass, so dass das textile Material beim Gehen, Laufen störte und den Bewegungsfluss der Frauen behinderte. Zum anderen wurde mit der Kunst des Kleiderraffens die Forderung verbunden, dass die vestimentären Bewegungen durch eine Körpertechnik so geformt werden, dass sie einzelne Körperteile der Frauen nicht sichtbar machen bzw. diese nur auf eine gesellschaftlich akzeptierte Art und Weise gezeigt werden. Die Diskussion der Ratgeberliteratur wird auf dem Feld des textilen Materials, speziell auf dem der Falte, ausgetragen. In dem Beitrag werde ich die textilen Bewegungen in der Kunst des Kleiderraffens untersuchen. Die Bewegung des Raffens, die sich durch Schnelligkeit und Unordnung auszeichnet. Ich werde beobachten, welche Rezepte die Zeitgenossen anbieten, damit dieses Raffen in eine gefällige Faltenbewegung überführt wird. Dabei wird zu fragen sein, was an Bewegungspotenzial verloren geht, was vielleicht ganz zum Stillstand führt.

«Always in Control»: Re-animating the Duchess of Windsor’s clothing fashions.
Peter McNeil, Stockholm University

Between the wars the Duchess of Windsor (1895/6?-1986) was a quintessential female sartorial modernist. It was an image built on a type of obsessive discipline and iteration of gestures and actions in ‘appearing’ and also in managing a household – ‘she was always in control’, noted her friend Carol Petrie. Photographic and drawn representations of her by Man Ray, Cecil Beaton and Horst played a role in disseminating new silhouettes and profiles for modern women. Yet these images are frozen, and they drain the kinesic element of wearing garments for which she was notable. The Duchess of Windsor brought her clothes into a range of animated performances, which can be reconstructed through film, photography and memoirs. The jewellery collection constituted a type of endless writing over the body, being inscribed with private messages in the prince’s hand-writing by the jeweler-engravers. Their technical and aesthetic innovation lay in their ability to move, to be flexible and pliable, to mould to her clothes and her body. Her initials and quasi-royal cipher were embroidered onto both inner and outer clothing, and incorporated into the structure of her dwelling spaces. This paper will relate the modernity of the Duchess’ sartorial movement to more archaic and emblematic poses. Perhaps her appearance was so compelling because it linked her contemporary life to early-modern traditions of personal jokes and personal allegiances reiterated through the wearing of clothes, craft practices and gift exchange.

The Fringed Zonari of Peloponnesus: More observations on the Classification and the Technology of the String Belts in Greece.
Sofia Tsourinaki, Pireaus

In agricultural societies through Europe, dress has functioned to communicate important attributes of the individual to the community. In rural Greece, women used to attire their bodies in socially – approved garments to signify age, gender, marital status and motherhood. My presentation will focus on a long belt of Peloponnesus, Greece, called zonari. The Peloponnesian zonari has been interpreted by scholars as a modern example of the ancient string skirt, a ritual textile with eye-catching cords and moving tassels worn to indicate the childbearing ability of women. These skimpy and breezy garments appear in clear representations on female statuettes from the «Old European» cultures which existed as far back as the Palaeolithic era. The Peloponnesian zonari is made in a technique called sprang, a process of interworked elements produced on a frame so that the fabric is built up on both ends. Archaeological and linguistic evidence indicates that, in Europe, the technique has been in practice for over three thousand years to make head bands, hairnets and caps. The specified prophylactic characteristics of the belt (unusual structure of sprang technique, long fringed tassels, tie-dyed ornamentation and protective quality of the color) went beyond mere decoration by signaling the woman’s reproductive goals to the community.

Technologien und Techniken für Bewegungen

Textile Futures. New Materials for Fashion, Design and Architecture.
Bradley Quinn, London

Textiles connect a variety of practices and traditions, ranging from the refined couture garments of Parisian fashion to the high-tech gossamer filaments strong enough to hoist a satellite into the stratosphere. As fashion textiles embrace technology, they transform clothing into wearable computer interfaces by integrating software, communication devices, healthcare systems and speech recognition sensors. As high-performance fabrics are being reconceived as immersive webs and information exchanges, their ability to interface with the built environment has resulted in a new paradigm of lightweight, interwoven architecture. These days, carbon fibres, non-woven fabrics, coated textiles, metallic fabrics and tri-axial meshes are popular alternatives to bricks and mortar, while tensile buildings and pneumatic structures forge a new direction for outdoor structures. Pliable textiles are revolutionising earthquake construction, and geotextiles enable landscape architects to reshape the natural terrain. As today’s textiles change how the body is experienced and how the urban environment is built, they reveal their capacity to transform our world more than any other material.

«Praktisch und kleidsam zugleich müssen diese Habite sein.» Die Entwicklung der Damen-Skisport-Mode vom Rock zur Hose.
Rebecca Niederhauser, Universität Zürich

Der bürgerliche Körperdiskurs und dessen weibliche Sonderanthropologie verlangen nach Kulturtechniken des Körpers. Mode und Bewegung sind zwei performative Kategorien, die geschlechtsspezifische Körper zu konstruieren vermögen. Dementsprechend spiegelt sich in der Mode des 19. Jahrhunderts die kulturell konstruierte Vorstellung des weiblichen Geschlechts, das als leistungsschwach, fragil und passiv imaginiert wird. Erst mit der hygienisch begründeten Inklusion der Frauen in den Sport beginnt die Auseinandersetzung um eine Neudefinition von Weiblichkeit. Damit wird der Sport zur Reproduktions- und Inszenierungsstätte der Geschlechterverhältnisse. Eine den spezifischen Bewegungsabläufen entsprechende Sportmode entsteht. Diese Entwicklung zeichnet sich exemplarisch im langwierigen Wechsel vom Rock zur Hose ab, der die Veränderung des Frauenbildes hin zu Vitalität, Belastbarkeit und Leistung dokumentiert. Am Beispiel der sich Ende des 19. Jahrhunderts parallel zur hygienisch begründeten Etablierung des Wintersports entwickelnden Wintersportmode für Frauen wird aufgezeigt, inwiefern Mode und Bewegung in ihrem einander bedingenden Wechselspiel geschlechtsspezifische Körperbilder konstruieren und damit als Körpertechnologie verstanden werden können.

Reitbekleidung – Kleidung gemacht für Bewegung. 
Maren Raetzer, Hanau

Bewegung und Mobilität gehören zum menschlichen Leben. Neben der  Eigenbewegung zu Fuss war die Bewegung zu Pferd über Jahrhunderte eine der wichtigsten Fortbewegungsarten. Ein Pferd war aber nicht nur Reisemittel, es wurde im Krieg eingesetzt, für die Jagd und in der Freizeit zur sportlichen Betätigung. Während Mann und Frau im Mittelalter wohl in Alltagskleidung ritten, bildete sich langsam eine besondere, der Bewegung zu Pferde angemessene Bekleidung heraus. Gerade die weibliche Bekleidung verdient besondere Aufmerksamkeit, da hier gesellschaftliche Anforderungen an die Schicklichkeit der Mode und das Bedürfnis nach Beweglichkeit nicht immer konform waren und so zu spezifischen Reitbekleidungsstücken führten. Im Vortrag wird untersucht, welchen Raum zur Bewegung die Gesellschaft der Frau zu Pferde einräumte und dies nicht nur auf Kilometer gesehen, sondern auch modisch. Dabei werden die folgenden Punkte beleuchtet: Wie ermöglichte die spezielle Kleidung Bewegung oder schränkte sie gezielt ein? Welche Aussenwirkung wurde dadurch erzeugt? Wann gab es Spielräume? Was sagen diese Spielräume über die Sicht der Weiblichkeit in dieser Zeit aus?

«Nicht ohne mein Sportif-Korsett!» Korsett und Bewegung in den 1920er Jahren. 
Josephine Barbe, Technische Universität Berlin

Sport wurde Trumpf! In den 1920er Jahren wurde überall geturnt, getanzt, geradelt und geschwommen. Mobilität und Bewegungsfreiheit waren en vogue und machten das herkömmliche stahlversteifte Korsett obsolet. Vorbild der sportlichen Frau war das amerikanische Girl: jung – sportlich – frech. Und so kam auch die Rettung der Korsettbranche aus Amerika: Gummi! Die Sanierung des Korsetts war gründlich: Schlupfform statt Schnürung, segmentiert in Büstenhalter und Hüfthalter, sowie ein neuer Name «Corselet» aktualisierten das Korsett. Aufsehenerregender Vertreter war ein amerikanisches Para-Gummikorsett, das den Körper durch seine «fettreduzierende» Wirkung nachhaltig zu formen versprach: Taille war nicht mehr gefragt, dafür mussten ausladende Brüste und Hüften dem amerikanischen Teenie-Vorbild geopfert werden – ein radikaler Wandel des traditionellen Bildes der «Weiblichkeit»! Die Bade- und Strandeuphorie der 1920er Jahre wurde zum weiteren Triumph für die Korsettbranche. Bestand die vorschriftsmäßige Badeausrüstung der Dame um 1910 noch aus zahlreichen Teilen, deren kostbare Materialien jeder Kontakt mit dem Wasser ruinierte, so glückte den Korsettfabrikanten nun ein weiterer Coup: der Badeanzug. Der Sportbewegung war es nicht gelungen, das Korsett abzuschaffen. Denn die Modifizierung des starren Korsetts zu einem flexiblen, elastischen und atmungsaktiven Körperformer ermöglichte der Frau nun Mobilität und Sportlichkeit und brachte der Korsettbranche eine gute Konjunktur.

Das Kleid als Bewegung und in Bewegung.
Christoph Allenspach, Zürcher Hochschule der Künste

Das Kleid ist ein «Bewegungsding» par excellence: 1. als dreidimensionale Konfiguration von Stoffen, Farben, Formen, Flächen etc. , die interagieren; 2. als «Accessoire» des Körpers, der in seiner Bewegung auch die Stoffe bewegt;  3. als Ding, das in subjektiver Erfahrung in bestimmten und jeweils unterschiedlichen Situationen so wahrgenommen wird, wie es erscheint. Die Frage der Bewegung des Kleides wird mit Hilfe des Begriffsfeldes der Kinästhetik von Edmund Husserl erörtert, um eine Annäherung an komplexe, räumlich und zeitlich basierte Situationen und Handlungsabläufe zu suchen. Dabei soll zwischen unterschiedlichen Situationen differenziert werden. Denn während etwa in der alltäglichen Nutzung des Kleides die Bewegung eher beiläufig wahrgenommen wird, da in der Regel gewohnte Bewegungen des Körpers und gewöhnliche Kleider miteinander interagieren, können ungewöhnliche Situationen auf dem Laufsteg der Präsentation von Mode, im Tanz oder in der Kunst spezifische Wirkungen erzielen. In solchen Situationen steht das Kleid im Zentrum, und Kleider und Bewegungen werden miteinander für bestimmte Wirkungen in Einklang gebracht. Sie sind absichtlich inszeniert.

 

Samstag, 24.09.2011

Rituale und Kleidung

Mantelwechsel - Bildbewegend. Maria Magdalena und Franziskus von Assisi.
Silke Geppert, Dommuseum Salzburg

Die Anfänge des Passionstheaters sind für Italien seit der Mitte des 13. Jahrhunderts belegt. So wird in den späten Lauden des Frondiniano berichtet, Maria Magdalena habe in den Klagen zur Passion einen roten Mantel ablegt und nach einem schwarzen verlangt. Dieses «Mantellied» wird in der Folge in zahlreiche Passionsspiele aufgenommen und bestimmt die Darstellung der „Hüllen“ dieser Heiligen. Über dieses Manteldetail hinausgehend, hatte die synthetisierte Vita der Hl. Maria Magdalena mehrere vestimentäre Hüllenvorgaben, also eine ganze «Kleiderkammer» für Ihre Darstellung zur Verfügung, die von den Malern dargestellt wurden. Zentraler Schauplatz der Hüllen und deren Wechsel ist ein prominenter Ort, wo es sich lohnt, gut angezogen zu sein – die Kreuzigung Christi. Kleidung als sprechende Hülle bietet eine noch unbearbeitete Stofffülle für die Forschung. Nicht selbstverständlich kann man von den Kleidern der Heiligen auf Altarbildern auf Kleider der Gesellschaft schließen. Dass jedoch die „Hüllen“ der Heiligen einem eigenen Dresscode unterliegen, der teilweise metaphorisch, teilweise symbolisch und legendarisch bedingt ist, und das An- und Ablegen der Kleidung eine mediale Bedeutung für die Heiligenvita und deren Aussage hat, ist die zentrale These dieses Vortrags. Franziskus von Assisi und in der Folge Maria Magdalena sind die ersten Bußheiligen, deren «vestimentäre» Biographie bildbewegend wurde.

Performative Paramente. Zu Funktionen bildlicher Darstellungen auf liturgischen Gewändern im Kontext des Messrituals vom 13. bis 16. Jahrhundert. 
Barbara Margarethe Eggert, Berlin

Im 12. Jahrhundert mehr Ausnahme denn Regel, hatte sich die Bebilderung von liturgischen Obergewändern im 15. Jahrhundert fest etabliert, wobei sich je nach Gewandtyp genuine Besatzformen, Kompositionsprinzipien und Motivspektren nachweisen lassen. Insbesondere im Rahmen des Messrituals treten die Paramente in einen Dialog mit den in ihnen vollzogenen Bewegungen sowie dem gesprochenen Wort oder werden zum temporären Substitut für Wort und Handlung. Als unabdingbare Gestaltungselemente liturgischer Handlungen erschöpft sich das Funktionspotential der Textilien keineswegs in der Kennzeichnung der klerikalen Hierarchie und der über das Akzidens der Farbe kommunizierten Verortung des Gottesdienstes im Kirchenjahr – vielmehr sind Paramente als realitätserzeugendes und repräsentatives Element des Vollzugs liturgischer Handlungen und derer verschiedenen Bedeutungsebenen zu interpretieren. Anhand von Kaseln, Dalmatiken und Tuniken soll aufgezeigt werden, wie durch die textile Ikonographie sowohl eine Transformation der Zelebranten als auch eine Simultanisierung der Zeitebenen Heilsgeschichte, Heilsgegenwart und Heilszukunft bzw. Überzeitlichkeit bewirkt wurde und wie Donatorinnen und Donatoren das performative Potenzial der Paramente für die Einbettung ihrer memoria zu nutzen wussten.

Performing Cloth(es). Kleidung und Ritual im traditionellen und zeitgenössischen Afrika.
Ursula Helg, Universität Wien

Textilien werden in den meisten afrikanischen Kulturen hoch geschätzt und erfreuen sich grosser Aufmerksamkeit. Sie spielen traditionell im religiösen, sozialen und politischen Leben eine eminente Rolle. Zusammen mit Bemalung, Skarifikation, plastischen Körperveränderungen und Frisuren sind sie eines der ältesten und wichtigsten visuellen Ausdrucksmittel. Verarbeitet oder unverarbeitet stiften sie Sinn und Bedeutung und sind ein Medium der Distinktion. Durch das Tragen bestimmter Kleidungsstücke und Accessoires werden nicht nur Identität, soziale Zugehörigkeit, Wohlstand und Macht demonstriert, sondern oft auch Übergänge im Leben, wie Geburt, Übertritt ins Erwachsenenalter, Heirat und Tod, markiert. Es sind diese rituellen Anlässe und andere Feste und Zeremonien, in deren Rahmen die Rhetorik des Textilen optimal zur Entfaltung gelangt. Der Körper wird dabei in ein sprechendes Bild, aufwändig inszeniert, in eine Bühne verwandelt. In meinem Vortrag thematisiere ich anhand ausgewählter Beispiele das Textile als ephemeres Medium beständigen Wandels.

L’Adonis du jour. Der Mann im Boudoir. 
Anna-Brigitte Schlittler, Zürcher Hochschule der Künste

Aufstehen und Ankleiden – le lever du roi – war im letzten Viertel des 17. Jahrhunderts buchstäblich zum Herzstück der Mechanik des absolutistischen Hofes geworden. Bereits im Jahrhundert zuvor hatte sich die für eine sorgfältig ausgewählte Öffentlichkeit sichtbare, politisch und symbolisch bedeutsame Ritualisierung des «Alltags» französischer Könige herauszubilden begonnen. Das mehrfach in schriftlichen Quellen dokumentierte Zeremoniell verschwand mit der Entmachtung von Louis XVI. endgültig, doch wirft diese tägliche Metamorphose des absolutistischen Monarchen bis in die Gegenwart sporadisch ihren Schatten auf die (französische) Bildkultur. In den folgenden Jahrhunderten tritt das Motiv des männlichen Aufstehens und Ankleidens erratisch in verschiedensten Medien – vom Genrebild über die Karikatur bis zum Film – und inhaltlichen Kontexten auf. Nicht selten spiegeln sich darin, sozusagen aus der Untersicht, gewichtige zeitgenössische Diskurse, wie etwa die Libertinage oder die bürgerliche Abgrenzung gegen das Erscheinungsbild adeliger Männlichkeit.

Auf dem Laufsteg.

Wie Bewegung in die Modefotografie kam: Paul Poiret, Edward Steichen und Jacques Henri Lartigue zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
Joya Indermühle, Universität Zürich

Zu Beginn des 20. Jh. zeichnete sich eine Entwicklung des Modebildes ab, welche auf eine sich verändernde Auffassung der Mode sowie auf die neuen Medien Fotografie und Film zurückzuführen ist. Diese Konstellation führte zu einem zunehmenden Interesse an der Mode als ein sich am bewegten Körper entfaltendes Phänomen. Der Couturier Paul Poiret war massgeblich an diesem Wandel in der Ästhetik der Modefotografie beteiligt. Seine Entwürfe revolutionierten die Mode und erforderten neue Bildstrategien. Die Studiofotografie der 1910er Jahre, die einem Kanon statischer Posen und austauschbarer Arrangements folgte, wurde seiner avantgardistischen Mode für die moderne Frau nicht gerecht. Im Hinblick auf die Bewegung in der Modefotografie entstanden im Kontext Poirets zukunftsweisende Tendenzen, die der Vortrag anhand zweier Beispiele in den Fokus nimmt: Zum einen werden piktorialistische Fotografien Edward Steichens untersucht, die durch natürliche Lichtführung, scheinbar zufällige Bildausschnitte und Bewegungsabläufe assoziierende Posen, einen für jene Zeit ungewohnten Eindruck von Spontaneität vermitteln. Zum anderen werden Freiluft-Aufnahmen von Jacques Henri Lartigue diskutiert, in denen elegante Frauen an mondänen Anlässen fotografiert wurden – häufig in Bewegung oder Konversation, wodurch die Bilder den unmittelbaren Charakter einer Momentaufnahme haben.

Als die Modenschau in Mode kam.
Maria Helbing, Technische Universität Dortmund

Kleidung muss am Körper lebendig werden und sich im Raum entfalten, um auf den Betrachter wie auf den Träger wirken zu können (Lehnert 2001). Von diesem Grundsatz, der das Kleid per se als einen unvermeidbaren performativen Akt begreift, lässt sich ein weiteres zentrales Leitmotiv der Mode ableiten, die Dynamik. Vorführung, Wechsel und Tempo sind zusammengenommen ein Phänomen der Moderne, das sie als solche konstituiert und spürbar macht (Virilio 1989, Loschek 2007). Die Modenschau verschmilzt diese Prinzipien miteinander und ruft sie in jeder Saison aufs Neue auf. Der Vortrag widmet sich dem Zeigen von Kleidung als mediale und dynamische Praxis. Auf der Basis einer historischen Entwicklungsgeschichte, die von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zu den gegenwärtigen Schauen verfolgt wird, werden  inszenatorische Veränderungen und zeitspezifische Einflüsse, wie sie sich in den Präsentationen widerspiegeln, aufgezeigt. Die Zusammenschau zeigt somit die Genese des Zeigens am Körper und im Raum, wobei die Bühne zur sich bewegenden Werbefläche für die Modeschöpfer avanciert (Helbing 2010). Dabei impliziert die Geschichte der Modenschau auch immer modegeschichtliche Aspekte, denn die Mode ist Hauptbestandteil des Gezeigten. Sie ist neben dem Laufsteg die konstituierende Basis der Inszenierung, die den Betrachter in eine Modemärchenwelt eintauchen lässt. Mode und Inszenierung besitzen somit den gleichen Grad an Wichtigkeit.

Controlling Space/Controlling Movement: Theatre, Ritual and the Illuminated Runway Body. 
John Potvin, University of Guelph

In 1983 Italian designer Giorgio Armani moved his atelier and residence to a 17th-century palazzo in 21 via Borgonuovo, Milano. It is here, in the palazzo’s basement, that Armani’s theatre is located, the place where Armani presents his twice yearly men’s and women’s runway collections. It is here (within the privacy and intimacy of the basement level of what is ultimately the private spaces of his studio and even more intimate spaces of his home) where Armani extends such an intimate invitation to the fashion world, an act no other designer in the last quarter of the twentieth century has done. It is here that Armani, like a director, conjures, even if only for ten minutes, a theatrical event, cinematic in tone and complete with stage directions, actors, video and lighting personnel and above all else highly charged emotion. In the ten or so minutes of a runway show the designer must entice buyers and elicit desire through the press, but also when the purity of vision and emotional presence the clothes conjure it is most present and untainted by outside competing forces. Textiles are an integral part of Italian and specially Armani’s fashion, and as a result, I will argue that certain controlled movements are necessary and vital to educate the viewer, a choreography which best illustrates textile innovation and luxury. In addition, much has been made of Armani’s control – now legendary.

Die Auflösung des Körpers in der Bewegung.
Gunnar Schmidt, Fachhochschule Trier

Mode ist seit dem Aufkommen der Modefotografie nicht mehr ohne mediale Vermittlung denkbar. Dass im Zuge der Medialisierung eine zweite Wirklichkeit entsteht, von der die Körper in der Mode nicht unberührt bleiben, wird der Vortrag beispielhaft am Fall einer Medieninstallation darlegen, die Teil einer Runway-Show Alexander McQueens war. In dieser Installation kommt ein exzentrischer Aspekt des Mode-Medien-Dispositivs zur Geltung: die Auflösung des Körpers. Die Analyse dieser Inszenierung wird zeigen, dass einhergehend mit der Irrealisierung des Körpers eine hoch verdichtete Semantik erzeugt wird. Mit ihr wird einerseits auf aktuelle Geschehnisse reagiert, andererseits ein Phantasma zur bewegten Bildform gebracht, das aus dem historischen Grossraum abendländischer Bildkultur seine Prägung erhalten hat. Zur Debatte gestellt wird u.a. die Frage, in welchem Verhältnis Mode als realisiertes Korporalmedium zur Mode als medialem Phantom steht.